Tanzfabrik
Berlin
Bühne
Bühne
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pause as resistance

02.05. – 29.05.2022 öffentliche session jeweils dienstags 14:00 – 17:00
“Ist es wirklich einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als ein Ende des Kapitalismus?”*

Im Mai wird die Tanzfabrik Berlin Bühne eine radikale Pause in ihrer täglichen Arbeit einlegen, um sich neue Wege des Arbeitens, des Zusammenlebens, und zur Umgestaltung der Gesellschaft vorzustellen. Ein Monat zum Nachdenken – zum Widerstand – zum Neustart.

* Das Zitat wird sowohl Fredric Jameson als auch Slavoj Žižek zugeschrieben.
Berlin, Europa, Mai 2022.  Es fühlt sich so an, als hätte die aktuelle Krisenserie weder einen richtigen Anfang noch ein Ende, es fühlt sich wie ein Zustand an, in dem wir feststecken. Eine Zeit, in der Notfälle auf andere Notfälle folgen, ein Zustand ständiger Alarmbereitschaft, ohne erkennbare Möglichkeiten für Veränderung.

Früher haben sich Krisenmomente – wenn das Leben selbst in seinen Grundfesten erschüttert zu sein scheint – oft als Auslöser für eine Erneuerung oder einen epochalen Wandel erwiesen. Doch heute scheint es keine Möglichkeit zu geben, einen positiven Wandel herbeizuführen – obwohl allgemein bekannt ist, dass die Existenz der gesamten Menschheit gefährdet ist, wenn keine Veränderung eintritt. 

Für Mark Fischer ist dieses Gefühl der Ohnmacht ein integraler Bestandteil des eigentlichen Regierungssystems der westlichen Welt: des kapitalistischen Realismus. Fischer sieht unsere Gesellschaft als eine, in der das Kapital, die Idee des Profits und des Privateigentums jeden Aspekt unseres (Zusammen-)Lebens und sogar unseren Körper so tief durchdrungen haben, dass wir uns andere Lebensweisen oder Formen der sozialen Organisation gar nicht mehr vorstellen können.

Nur die Kunst, vor allem die zeitgenössische Kunst, bietet manchmal die Möglichkeit, für kurze und flüchtige Momente, einen Blick in andere Welten zu werfen. Andere mögliche Realitäten. Andere Arten des Zusammenseins. Sie hat das Potenzial, Perspektiven zu verändern und Transformationen anzuregen, Standpunkte zu verschieben und Gespräche voranzutreiben.

Als Organisation, die sich der zeitgenössischen Kunst widmet, ist es unsere Aufgabe, dieses Verständnis von Kunst zu fördern, und die bestmöglichen Bedingungen für Künstler*innen zu schaffen, damit sie sich entfalten und Werke schaffen können, die den Blickwinkel verändern. Wir wollen auch einige der von den Künstler*innen vorgestellten Visionen – und die dahinterstehenden Werte – auf unserer eigenen Realität anwenden.

pause as resistance ist ein Versuch in diese Richtung. Wir verstehen das Innehalten als einen subversiven Akt, um das Unwesentliche abzulehnen und Raum für das zu schaffen, was eigentlich am wichtigsten ist: nachdenken, sich neu gruppieren, Zeit nehmen, um Veränderungen anzustoßen. Sowohl in unserer Organisation als auch in unserem Umfeld. 
Zeit, uns zu fragen: Wie machen wir die Dinge? Unter welchen materiellen Bedingungen finden unsere Aktivitäten statt? Was wird hier unwillkürlich reproduziert? Wie können wir eine feministische Organisation sein?

Innehalten ist eine Entscheidung, sich zu weigern, diesen Zustand des ständigen Aktionismus, der ständigen Produktion fortzusetzen und nicht zu akzeptieren, dass es keinen Ausweg aus dem Kapitalismus gibt. Sondern ihm zu widerstehen und vielleicht einen Platz an seinen Rändern** zu finden, von dem aus wir eine Revolution starten können.

** Wir verweisen unter den vielen Forscher*innen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, zum Beispiel auf die Arbeit von Avery F. Gordon in "The Hawthorn Archive: Letters from the Utopian Margins (2018)".

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pause as resistance lädt außerdem 4 Künstler*innen ein, mit der Tanzfabrik Berlin Bühne zu pausieren.
↪  Zum Nachklang des Projekts: Reflektionen, Stimmen & Fotos hier klicken

Teilnehmende Künstler*innen Zu den Biografien

  • Florin Flueras
  • Ana Libório
  • Harun Morrison
  • Dafne Narvaez

Ablauf

Das 4-wöchige pause of resistance findet ohne kuratorisches Programm, aber mit einem festen Zeitplan von 2 täglichen Sitzungen von 10:00 bis 17:00 statt. Durch die Unterbrechung der täglichen Arbeit wollen wir bisher unbekannte Forschungswege erschließen.

Jeden Dienstagnachmittag von 14:00 bis 17:00 findet im Studio 5 eine öffentliche Sitzung statt. Jede*r ist herzlich willkommen! 

FAQ

↪ Was meint ihr mit pause as resistance?

Unter pause as resistance verstehen wir eine radikale Reduktion oder – wo möglich – eine komplette Unterbrechung der täglichen Aktivitäten in der Abteilung Bühne der Tanzfabrik Berlin. Es wird keinen E-Mail-Verkehr geben, keine Meetings, keine Proben. Es wird Stille herrschen, auch wenn wir* alle da sind, in den Büros, in den Studios, im Theater, und alle arbeiten.

*Wir ist hier inklusiv gemeint. Es schließt jede*n ein, die*der an der Pause teilnimmt. Mitarbeiter der Institution, Künstler*innen, Publikum, Partner*innen…

pause as resistance wurde von feministischer Literatur inspiriert (insbesondere “Feminist for 99%”, “Wintering”), Büchern über Ökologie und Ökologie der Aufmerksamkeit (z.B. “Down to earth”, “How to do nothing”) und dem Konzept der Anthropause.

↪ Was ist die „Anthropause“?

Der Begriff „Anthropause“ bezieht sich auf die Verringerung der menschlichen Aktivitäten während des ersten Lockdowns März 2020 und die daraus resultierende Zunahme der Wildtiere in städtischen Gebieten. Der Begriff wurde in einem Artikel der Zeitschrift “Nature Ecology & Evolution” geprägt und bezeichnet eine “erhebliche globale Verlangsamung der modernen menschlichen Aktivitäten, insbesondere des Reisens”. Der Rückgang der Aktivitäten führte auch zu einem messbaren Rückgang des seismischen Lärms – während der sogenannten „großen seismischen Ruheperiode“. Den Forscher*innen zufolge ist dieser Zustand der Aktivitätsreduzierung, Verlangsamung und seismischen Stille einzigartig in der jüngeren Geschichte und sogar seit Beginn der (seismografischen) Aufzeichnungen.

↪ Was hat das mit Kunst und Tanzfabrik Berlin zu tun?

Wir planen eine organische Evaluierung, Transformation, and mögliche Reduktion unserer eigenen Aktivitäten als Reaktion auf die aktuelle ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Krise. Wir wollen Fragen nachgehen wie: Wie soll sich eine Kunstinstitution in Zeiten von Krieg und Klimawandel positionieren? Wie können wir Vielfalt, Zugänglichkeit und die richtige Verteilung von Macht und Ressourcen in unserer Institution sicherstellen? Wie können wir uns einem System (Kapitalismus) widersetzen, das nur produktorientiert ist und von uns (und den Künstler*innen) verlangt, ständig produktiv zu sein?

↪ Großartig! Aber warum stellt ihr diese Fragen nicht, während ihr mit dem regulären Programm fortfahren?


Die Umgestaltung ist ein Prozess, der Aufmerksamkeit, Zeit, und Ressourcen erfordert, wenn er ernst genommen werden soll. Eine ernsthafte Bewertung kann nicht durchgeführt werden, während man sich um die tägliche Arbeit kümmert. Ein Vorschlag, der von Agnes Quackels und Barbara Van Lindt vom KAAI Theater kommt, ist, dass jede öffentlich finanzierte Kunstinstitution mindestens alle 7 Jahre ein „Ruhejahr“ einlegt. Damit ist ein Zeitraum gemeint, in dem die Arbeit der Institution unterbrochen wird, eine Auszeit, um sich zu öffnen und umzuschauen, die Grundlagen zu überdenken, sich neues Wissen anzueignen, sich wieder mit der Stadt und aktuelle Tendenzen im Kunstbereich zu verbinden. Ein Jahr „frei“, das zum normalen Leben jeder Institution gehören sollte. Es sind Fragen wie diese, die wir in der Tanzfabrik Berlin Bühne mit pause as resistance angehen wollen.

↪ Aber wie werdet ihr „arbeiten“ wenn ihr nichts produziert?

„Wenn die Performance-Künstlerin Alma Söderberg ein neues Projekt beginnt, verbringt sie zunächst Tage damit, auf dem Boden zu liegen und scheinbar nichts zu tun. Und weil es nicht einfach ist, nichts zu tun, tut sie nicht etwa nichts zu Hause. Nein, sie bewirbt sich für Residenzprogramme in gut ausgestatteten Studios, um so gut wie möglich, das zu tun, was nach Nichts aussieht. Und dann, eines Tages, steht sie auf und macht ein neues, großartiges Werk. Nichts zu tun, aber auf hervorragende Weise, ist für Söderberg der notwendige erste Schritt zu etwas Neuem. Etwas anderem.“ – Aus „The Jello, the Nothing, the Something and the Rest(s) “ von Agnes Quackels, im Dialog mit Barbara Van Lindt.

↪ Es ist doch ein Luxus, innezuhalten und zum Beispiel zu beschließen, einen Monat lang keine E-mails zu beantworten. Wie sollen wir uns das leisten?


Wir sind uns bewusst, dass pause as resistance ein Privileg ist, und wir sind bereit, unsere Ressourcen mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen, damit sie auch pausieren können. Gleichzeitig ist es unsere Pflicht als westeuropäische Kunstorganisation – jetzt mehr denn je–, uns die Zeit zu nehmen, unsere Arbeit, unsere Ergebnisse, und unsere Entwicklung ehrlich zu bewerten, um uns zu verändern. pause as resistance ist inspiriert von mehreren feministischen Publikationen, die beschreiben wie das „Weniger tun“ und eine andere Nutzung von Ressourcen Schlüsselstrategien im Kampf gegen den Stress der kapitalistischen Produktion sein können.

↪ Ich bin Künstler*in und würde auch gerne pausieren. Könnt ihr mir helfen?

Wir haben im Januar zwei Aufrufe an Künstler*innen veröffentlicht, mit uns zu pausieren. Wenn du diese verpasst haben, oder nicht ausgewählt wurdest, kannst du jeden Dienstagnachmittag von 14:00 bis 17:00 im Studio 5 in den Uferstudios vorbeikommen und schauen, ob etwas für dich dabei ist.

↪ Ich gehöre zum Publikum und würde auch gerne pausieren! Was kann ich tun?

Du kannst mitmachen! Das Studio 5 in den Uferstudios ist jeden Dienstag von 14:00 bis 17:00 für alle geöffnet, die mitmachen, mit uns reden, herausfinden wollen, was wir machen. Da die Einrichtung „pausiert“, wird im Mai kein Programm auf unserer Website, in den sozialen Medien oder in den Printmedien angekündigt, beworben oder veröffentlicht.